Ein Kandidat mit fröhlicher Gelassenheit

Veröffentlicht am 04.06.2010 in Bundespolitik

Von FOCUS-Online-Redakteurin Sandra Tjong

SPD und Grüne hoffen, dass ihr Kandidat für das Bundespräsidentenamt auch im Koalitionslager Stimmen holt. Joachim Gauck hat da mehr Zweifel, doch das parteipolitische Klein-Klein interessiert ihn ohnehin nicht.

Joachim Gauck
„Großer Aufklärer“, „unabhängiger Kopf“ und „Anwalt der Freiheit“ – SPD und Grüne sparen nicht mit großen Attributen, als sie am Freitag ihren Kandidaten für das Bundespräsidentenamt in der Bundespressekonferenz vorstellen.
Hatte die schwarz-gelbe Koalition ihren Mann für Bellevue innerhalb weniger Minuten am Donnerstagabend vor dem Kanzleramt bekanntgegeben, so nehmen sich SPD und Grüne Zeit.
Auf dem Podium in der Bundespressekonferenz in Berlin sitzen außer Joachim Gauck die rot-grünen Parteichefs Sigmar Gabriel und Cem Özdemir sowie die beiden Fraktionschefs Frank-Walter Steinmeier und Jürgen Trittin, um die Entscheidung zu kommentieren.

Als Özdemir einen Zeitungskommentar anführt, in dem es heißt, eigentlich müssten alle Ost-Abgeordneten für den früheren DDR-Bürgerrechtler stimmen, wenn sie nicht die Wende von 1989 vergessen hätten, huscht ein Lächeln über das Gesicht des 70-Jährigen. Die Wendejahre haben den Rostocker entscheidend geprägt, wie er anschließend ausführt. „Damals habe ich begriffen, dass es sich ganz einfach lebt in Ohnmacht“, sagt er. Es sei bequem, wenn alles seine Ordnung habe. Doch seit der friedlichen Revolution in der DDR wisse er auch, dass Angst nicht der Kompass im Privaten oder Politischen sein könne.

Schlichte, klare Worte

In einem kleinen Exkurs geht er auf die Angst der Menschen angesichts der Wirtschaftskrise ein und verweist darauf, dass Generationen von Menschen viel Schlimmeres er- und überlebt hätten: die NS- und die DDR-Diktatur. Was zähle, seien Zusammenhalt und dass man sich nicht ausruht auf den Errungenschaften der Demokratie.

Gauck wählt schlichte, klare Worte. Die Botschaften sind einfach, aber alles andere als banal. Man spürt, dass da einer weiß, wovon er spricht. Einer, der die Diktatur am eigenen Leib erlebt hat. Als er noch Kind war, wurde sein Vater von heute auf morgen für Jahre in ein Lager abtransportiert, ohne Angabe von Gründen. Für ihn sind Freiheit und Demokratie keine Selbstverständlichkeit, sondern ein kostbares Gut, das verteidigt werden muss. „Vor der Einheit kam die Freiheit“, sagt er.

Als Rostocker Pfarrer hatte Gauck selbst den Widerstand gegen das DDR-Regime mit vorangetrieben. Er wurde Sprecher der Bürgerbewegung Neues Forums in Rostock und führte Großdemonstrationen an. Nach dem Mauerfall vertrat er die Vereinigung in der Volkskammer.

Deutschlandweit bekannt wurde er als erster Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde. Obwohl vor zehn Jahren Marianne Birthler die Leitung übernahm, ist der Name „Gauck-Behörde“ noch immer gängig: Gauck prägte maßgeblich die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Er kümmert sich noch immer darum, in dem Verein „Gegen Vergessen für Demokratie“.

Dass er nun als Kandidat für das Bundespräsidentenamt aufgestellt wurde, erfülle ihn mit Dankbarkeit, sagt er. Gleichwohl verhehlt er nicht, dass es für ihn ein wenig überraschend ist, neben dem Grünen Trittin zu sitzen. „Mir wären eher andere eingefallen“, sagt Gauck, der sich selbst dem wertekonservativen Milieu zuordnet.

Gabriel verblüfft über Zurückhaltung der Linken

Parteizugehörigkeiten spielen für ihn ohnehin keine Rolle, sondern Engagement. Auch zählt für ihn nicht, dass seine Chancen angesichts der schwarz-gelben Mehrheit in der Bundesversammlung verschwindend gering sind. „Ich bin Realist. Ich kann auch zählen“, sagt er. Er werde „mit fröhlicher Gelassenheit auf den 30. Juni zugehen“. Er sagt aber auch, dass er Ereignisse erlebt habe, die unwahrscheinlich sind. Bis zum Stichtag werde er gerne das Gespräch mit Liberalen und Christdemokraten führen, in dieses Lager habe er „zahlreiche Verbindungen“.

„Mahner und Demokratielehrer“

Genau darauf hoffen SPD und Grüne: dass der überparteiliche Gauck im liberal-konservativen Lager Stimmen holt – mehr als 20 Stimmen müssten es sein. Einige Delegierte werden es in der Wahlkabine schwer haben, sind sich Gabriel und Özdemir sicher. Tatsächlich ist der frühere DDR-Bürgerrechtler quer durch alle Lager hoch respektiert – sieht man von Vorbehalten in der Linkspartei ab. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) selbst lobte ihn schon als „Mahner und wichtigen Demokratielehrer“. Auch jetzt verhehlen Politiker aus Union und FDP ihre Sympathie zu Gauck nicht. Man könne aus liberaler Sicht wunderbar mit Gauck leben, sagte etwa der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Otto Fricke. Allerdings bloß, wenn nur jener zur Wahl stehen würde.

Erneut bedauern Gabriel und Özdemir, dass sich Merkel auf keinen gemeinsamen Kandidaten eingelassen hat. Wulff sei allein aus parteipolitischer Raison nominiert worden, beklagen sie. Gabriel bestätigt, dass er der Kanzlerin am Mittwoch das Angebot gemacht habe, Gauck als gemeinsamen Nachfolger vorzuschlagen. Darauf habe er eine SMS bekommen – mit Dank für die Information. „Ich habe gedacht, sie würde unser Angebot von Anfang an ernsthafter nehmen.“ Mit der Präsentation habe man extra gewartet, bis Schwarz-Gelb seinen Kandidaten vorgestellt hatte, denn: Bei einem Menschen, den sowohl SPD, Grüne als auch Gauck für geeignet gehalten hätten, wäre dessen Kandidatur hinfällig gewesen.

Dankes-SMS – das war´s

Nach der CDU hatte Gabriel auch der Linkspartei Gauck als Kandidaten vorgeschlagen. Er stieß allerdings auf Zurückhaltung. Dies habe ihn sehr überrascht. „Mir fehlt die Phantasie für ein rationales Argument.“ Sollten Teile der Linken Gauck ablehnen, da dieser die Aufklärung der DDR-Vergangenheit vorantreibe, sei dies Grund für eine Neubewertung der Partei. Gauck machte klar, dass er auch zu Gesprächen mit Linken bereit ist – diejenigen, die ihm offen gegenüberstehen, seien ihm willkommen.

Persönliche Eitelkeiten kennt der frühere Pastor nicht. So sieht er denn auch durch Merkels Ablehnung keinen Grund für eine Eintrübung seines Verhältnisses zur Kanzlerin. Ob sich die CDU-Chefin in der Zwischenzeit bei ihm gemeldet habe, will jemand wissen. Nein, sagt Gauck und schiebt sogleich hinterher, dass sie wohl auch keine Zeit gehabt habe. Und: „Ich halte sehr viel von der Bundeskanzlerin.“ Er denke, umgekehrt gelte dies ebenso. Er wünsche ihr und auch dem Koalitionskandidaten Christian Wulff (CDU), dessen Politik er zuvor gelobt hatte, eine „glückliche Hand und nur Gutes“.