Warum Skandinavien besser lernt

Veröffentlicht am 12.03.2010 in Schule und Bildung

Diskussion um verlängerte Grundschulzeit / Wissenschaft unterstützt Reform

NW vom 12.03.2010, von JULIA RENNER

Bielefeld.
Die Deutschen sehen alt aus – zumindest in den Schulvergleichsstudien der OECD, genannt PISA. Während die Skandinavier stets auf den vordersten Rängen thronten, bewegten sich die deutschen Schüler im Mittelfeld.

Viele waren deshalb schnell mit dem Vorschlag zur Stelle, dem deutschen Schulsystem einen skandinavischen Stempel aufzudrücken. Doch so einfach ist das nicht.

Wolfgang Hörner weiß, warum die skandinavischen Schulsysteme als besser gelten als die deutschen. Hörner hat an der Uni Leipzig den einzigen deutschen Lehrstuhl für vergleichende Pädagogik inne. Der Vorteil der Skandinavier sei, dass acht bis neun Jahre gemeinsam gelernt werde, es also keine Leistungsdifferenzierung gebe.

Dass dieses System auf Deutschland übertragbar ist, sei „schon vorstellbar, aber unter schweren Bedingungen“. Unter anderem wegen des Föderalismus.
Ein weiteres Problem sei die Mentalität der Eltern. Vor allem „konservative Eltern“ sorgten sich um ihre vermeintlich begabten Kinder und wie ein Lernen gemeinsam mit Schwächeren wohl aussehen würde. Dieses Denken sei „tief verwurzelt“, sagt Hörner.
„In der sozialen Selektion sind wir Weltmeister.“ Dabei sei es in Skandinavien üblich, dass die „Schwächeren von den Stärkeren lernen und umgekehrt“. Die Leistungsfähigeren würden darunter nicht leiden.

„In der Schulpädagogik gilt weitgehend die Meinung, dass längeres gemeinsames Lernen sinnvoll ist“, betont auch Josef Keuffer, der an der Uni Bielefeld in Sachen Schulpädagogik forscht. Auch Studien würden dies bestätigen. Am deutschen Schulsystem findet der Professor viele Schwachpunkte: Die Dreigliedrigkeit, die in einen modernen Staat nicht passe, die starke Selektion und eben die vierjährige Grundschulzeit. Keuffer ist sicher: „Über kurz oder lang wird die verlängerte Grundschulzeit kommen.“ Den Hamburger Vorstoß einer Verlängerung der Grundschulzeit auf sechs Jahre, der in der Hansestadt heiß diskutiert wird, unterstützt Keuffer ausdrücklich.

Aber nicht bei allen stößt die Idee einer längeren gemeinsamen Grundschulzeit auf Unterstützung. „Wir haben da eine ganz klare Meinung“, sagt Regine Schwarzhoff, Vorsitzende des Elternvereins NRW. „Wir sind dagegen, die Grundschulzeit zu verlängern.“ Es sei schon jetzt schwer genug, jedem Kind gerecht zu werden. „Der Wechsel nach vier Jahren ist für viele eine regelrechte Rettung“, sagt Schwarzhoff. Eine Schwierigkeit sei, dass schlechtere Schüler merkten, dass anderen das Lernen leichterfalle – und sich dann dumm vorkämen. „Auf der Hauptschule blühen diese Kinder dann richtig auf.“

Von einer verlängerten Grundschulzeit hält der Verein, der rund 2.000 Mitglieder in NRW hat, auch deshalb nichts, weil der Wechsel dann in die beginnende Pubertät fallen würde. Da sei vieles im Umbruch, und wenn dann auch noch die Schule gewechselt werde, kom-me alles aus dem Gleichgewicht, befürchtet Schwarzhoff.

Jutta Pfenningschmidt, Leiterin der Frölenbergschule in Bielefeld, sieht das anders: „Die Pubertät betrifft uns heute teilweise schon in den vierten Klassen.“ Ob Grundschüler länger gemeinsam lernen sollten, sieht sie zwiespältig. „Für manche ist es nach vier Jahren sonnenklar, zu welcher Schule sie gehen. Manchen täte es gut, noch zwei Jahre zu bleiben.“

Ihre Bielefelder Kollegin von der Brocker Schule sieht das ähnlich: „Für manche ist es gut, nach vier Jahren eine neue Herausforderung zu haben und in einem neuen Rahmen zu lernen“, sagt Schulleiterin Ulrike Kleimann. Für andere Kinder hingegen sei es gut, sechs Jahre zur Grundschule zu gehen – und so mehr Zeit zu haben, sich zu entwickeln. Gegen eine sechsjährige Grundschulzeit hätte Kleimann nichts einzuwenden. Die Bedingungen müssten aber angepasst werden: „Die Grundschule dürfte nicht einfach verlängert werden, sondern müsste Möglichkeiten der weiterführenden Schule bieten.“

In der Schulpädagogik sind sich Forscher einig: Längeres gemeinsames Lernen ist sinnvoll. Doch vor allem Eltern vermeintlich begabter Kinder sträuben sich gegen eine Reform.